Der arbeitsrechtliche Prozess
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Die meisten Arbeitsverhältnisse sind von einem Machtungleichgewicht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geprägt. Zum einem steht dem Arbeitgeber in der Regel ein grosses Angebot an potenziellen Arbeitnehmern zur Verfügung. Der Arbeitnehmer hingegen ist in der Stellenwahl oft eingeschränkt. Zudem ist der Arbeitgeber meist finanzstärker als der Arbeitnehmer. Kommt es zwischen den Parteien eines Arbeitsverhältnisses zum Streit, ist der Arbeitnehmer regelmässig in der schwächeren Position, auch wenn seine Forderungen berechtigt sind. Der Gesetzgeber berücksichtigt das soziale Machtgefälle zwischen den Parteien insbesondere im Zivilverfahrensrecht. Nachfolgend werden die wesentlichen Erleichterungen und Eigenheiten des arbeitsrechtlichen Prozesses aus Sicht des Arbeitnehmers aufgezeigt.
Der arbeitsrechtliche Prozess
Das Arbeitsverhältnis begründet Rechte und Pflichten der Parteien. Die daraus hervorgehenden Rechtsansprüche müssen umgesetzt werden können. Wenn beispielsweise Arbeitnehmende Rechtsansprüche gegenüber dem Arbeitgeber zustehen, müssen sie die Möglichkeit haben, diese Rechtsansprüche durchzusetzen, wenn die Gegenseite nicht zur Erfüllung bereit ist. Gegenstand des arbeitsrechtlichen Prozesses ist die gerichtliche Durchsetzung arbeitsrechtlicher Ansprüche.
Die erste Weichenstellung bei der Durchsetzung einer arbeitsrechtlichen Forderung erfolgt bei der Beurteilung des Streitgegenstandes. Zivilgerichte sind für die Beurteilung von zivilrechtlichen Streitigkeiten zuständig. Handelt es sich beim klagenden Arbeitnehmer beispielsweise um einen Angestellten des Gemeinwesens, wird die Streitigkeit in der Regel zuerst in einem verwaltungsinternen Verfahren und dann gegebenenfalls von einem Verwaltungsgericht geklärt. Die vorliegende Abhandlung bezieht sich auf zivilrechtliche Streitigkeiten. Nach bundesgerichtlicher Praxis gilt ein Verfahren als Zivilsache, wenn es auf die endgültige Regelung zivilrechtlicher Verhältnisse durch behördlichen Entscheid abzielt.[1]
Zivilprozessrechtliche Erleichterungen im arbeitsrechtlichen Prozess
Fällt die Durchsetzung eines arbeitsrechtlichen Anspruchs in die Zuständigkeit eines Zivilgerichts, wird das Verfahren durch die Schweizerische Zivilprozessordnung (ZPO) geregelt. Die ZPO sieht infolge sozialpolitischer Erwägungen des Gesetzgebers bei arbeitsrechtlichen Prozessen verschiedene Erleichterungen vor. Beispielsweise werden beim Entscheidverfahren über Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis sowie nach dem Arbeitsvermittlungsgesetz bis zu einem Streitwert von CHF 30’000 keine Gerichtskosten erhoben.[2] Es sei darauf hingewiesen, dass die Kostenlosigkeit nur die Gerichtskosten, nicht aber die Parteientschädigung an die Gegenseite im Umfang des Unterliegens betrifft.
Des Weiteren wird der arbeitsrechtliche Prozess insofern gelockert, als das Gericht bei arbeitsrechtlichen Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von CHF 30’000 den Sachverhalt feststellt.[3] Durch die richterliche Hilfestellung wir die Sachverhaltsdarstellung und die Einbringung von Beweisen erheblich erleichtert.
Für vermögensrechtliche Streitigkeiten gilt bis zu einem Streitwert von CHF 30’000 das vereinfachte Verfahren. Das vereinfachte Verfahren ist für die klagende Partei vorteilhaft, da es im Gegensatz zum ordentlichen Verfahren geringere Anforderungen an die Parteien stellt und einen vereinfachten Ablauf aufweist. Das Verfahren wird rascher durchgeführt und kann allenfalls früh abgeschlossen werden, wenn aufgrund des tiefen Streitwerts keine Berufung an die Rechtsmittelinstanz bzw. keine Beschwerde ans Bundesgericht möglich ist. Unabhängig vom Streitwert wird das vereinfachte Verfahren in den besonders sensiblen Materien des sozialen Privatrechts angewandt. Aus arbeitsrechtlicher Sicht betrifft dies Streitigkeiten nach dem Gleichstellungsgesetz, zur Durchsetzung des Auskunftsrechts nach dem Datenschutzgesetz sowie nach dem Mitwirkungsgesetz.
Teilklage bei einem Streitwert über CHF 30’000
Die klagende Partei wird regelmässig daran interessiert sein, dass der Streitwert nicht mehr als CHF 30’000 beträgt, um von den obengenannten Vorteilen zu profitieren. Eine Möglichkeit Forderungen von über CHF 30’000 im vereinfachten Verfahren geltend zu machen, besteht in der Erhebung einer Teilklage. Bei einer Teilklage wird nicht der gesamte Anspruch, sondern nur ein Teil davon eingeklagt. Eine Teilklage setzt voraus, dass ein Anspruch teilbar ist, was insbesondere für Ansprüche auf Zahlung einer Geldleistung zutrifft.
Zwar ist dem Ersturteil über den mittels Teilklage erhobenen Anspruchs eine gewisse präjudizielle Wirkung nicht abzusprechen. Dennoch beschränkt sich die Rechtskraft nur auf das Urteilsdispositiv. Folglich muss der verbleibende Anspruch erneut eingeklagt werden. In einem zweiten Verfahren können neue Argumente und Beweisofferten eingebracht werden, die vom Gericht zu prüfen sind.
Die beklagte Partei sieht sich bei einer Teilklage im vereinfachten Verfahren mit verschiedenen Nachteilen konfrontiert, beispielsweise muss sie mit Folgeprozessen rechnen. Es ist daher möglich, dass sich der Beklagte für einen Gegenangriff mittels einer sog. Feststellungswiderklage entscheidet. Im Zuge einer Feststellungswiderklage kann der Kläger die gerichtliche Feststellung des Nichtbestandes des gesamten, über den die Teilklage hinausgehenden Anspruches verlangen. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist eine solche Widerklage im vereinfachten Verfahren auch dann möglich, wenn die Widerklage aufgrund ihres Streitwertes ins ordentliche Verfahren fällt.[4] Haupt- und Widerklage sind diesfalls zusammen im ordentlichen Verfahren zu führen. Somit kann der Teilkläger in das ordentliche Verfahren gezwungen werden, wodurch er die Vorteile des einfachen Verfahrens verliert.
Fazit
Der Gesetzgeber sieht für die gerichtliche Durchsetzung arbeitsrechtlicher Streitigkeiten mit einem Streitwert bis CHF 30’000 oder bei besonders sensiblen Materien des sozialen Privatrechts verschiedene Erleichterungen vor, welche den klagenden Arbeitnehmer begünstigen. Der grösste Vorteil ist der Entfall der Gerichtskosten. Um von diesen Vorteilen auch bei einem Streitwert von über CHF 30’000 zu profitieren, besteht die Möglichkeit einer teilweisen Geltendmachung seines Anspruches. In diesem Fall muss das Risiko einer Feststellungswiderklage einkalkuliert werden.
Gerne unterstützen wir Sie in arbeitsrechtlichen Prozessen oder in anderen arbeitsrechtlichen Belangen. Wir freuen uns über die Kontaktaufnahme.
[1] BGE 123 III 349, E. 1a; BGE 101 II 366, E. 2a.
[2] Art. 114 Bst. c ZPO.
[3] Art. 247 Abs. 2 Bst. a Ziff. 2 ZPO.
[4] BGE 143 III 506, E. 4.4.