Erbrechtsrevision: Änderung im Pflichtteilsrecht
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Das aktuell geltende Erbrecht wurde seit seiner Schaffung Anfang des 20. Jahrhunderts nur punktuell revidiert. Während den über hundert Jahren haben sich aber insbesondere die Art des Zusammenlebens, die familiären sowie demografischen Strukturen weitestgehend verändert. Mit den vorgesehenen Änderungen im Erbrecht soll diesen Gegebenheiten Rechnung getragen werden. Die Änderungen treten per 1. Januar 2023 in Kraft.
1. Überblick
Zu den relevantesten Neuerungen gehört die Abschaffung des Pflichtteilanspruches der Eltern des Erblassers sowie die Kürzung des Pflichtteils der direkten Nachkommen. Zudem soll unter dem neuem Recht der Pflichtteilsanspruch des Noch-Ehegatten entfallen, sobald ein Scheidungsverfahren eingeleitet worden ist. Zudem kann der Erblasser zukünftig nebst der Einräumung einer Nutzniessung für den überlebenden Ehegatten oder eingetragenen Partner über die Hälfte des Nachlasses frei verfügen.
Die Idee der Einführung eines gesetzlich vorgesehenen Unterstützungsanspruches zugunsten des faktischen Lebenspartners wurde wieder verworfen. Der faktische Lebenspartner wird auch unter dem neuen Erbrecht keinen gesetzlichen Erbanspruch erlangen.
2. Eltern verlieren ihren Pflichtteilsanspruch
Nach geltendem Recht haben die Eltern des Erblassers je einen Pflichtteilsanspruch auf die Hälfte des gesetzlich vorgesehenen Erbanspruches. Die Höhe des gesetzlich vorgesehenen Anspruches ist davon abhängig, ob der Erblasser einen Ehegatten oder eingetragenen Partner hinterlässt und ob er beide oder nur einen Elternteil hinterlässt. Nach neuem Recht haben die Eltern keinen Anspruch mehr auf einen Pflichtteil. Das bedeutet diese haben zukünftig nur in zwei Fällen einen erbrechtlichen Anspruch. Entweder unter Eintritt der gesetzlichen Erbfolge oder wenn der Erblasser die Eltern in einer letztwilligen Verfügung (häufig in einem Testament) bedacht oder als Erben eingesetzt hat. Die gesetzliche Erbfolge kommt nur zur Anwendung, wenn keine letztwillige Verfügung oder kein Erbvertrag vorhanden ist. Aber auch bei der gesetzlichen Erbfolge müssen gewisse Voraussetzungen erfüllt sein, dass die Eltern etwas vom Nachlass erhalten. Hinterlässt der Erblasser Kinder, haben die Eltern keinen gesetzlichen Anspruch auf einen Anteil am Nachlassvermögen.
3. Verkleinerung des Pflichtteils der Nachkommen
Zurzeit beträgt der Pflichtteil der Nachkommen dreiviertel des gesetzlichen Erbanspruches. Unter dem revidierten Erbrecht wird der Pflichtteil der Nachkommen nur noch die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruches betragen. Durch die Verkleinerung des Pflichtteils wird die frei verfügbare Quote vergrössert.
4. Wegfall Pflichtteilsanspruch bei pendentem Scheidungsverfahren
Unter dem aktuellen Erbrecht verliert ein Ehegatte den Pflichtteilsanspruch erst bei Vorliegen eines formell rechtskräftigen Scheidungsurteils. Neu soll der Pflichtteilsanspruch bereits bei Einleitung eines Scheidungsverfahrens entfallen. Damit soll verhindert werden, dass Scheidungsverfahren absichtlich in die Länge gezogen werden, um einen Pflichtteilsanspruch geltend machen zu können. Diese Neuerung betrifft lediglich den Pflichtteil und nicht den gesetzlichen Erbanspruch des Noch-Ehegatten. Aus diesem Grund bedarf es für einen wirksamen vollständigen Ausschluss des Noch-Ehegatten als Erben einer letztwilligen Verfügung des Erblassers.
5. Einräumung Nutzniessung und frei verfügbare Quote
Der Erblasser kann den überlebenden Ehegatten mit einer Nutzniessung am gesamten auf die gemeinsamen Kinder fallenden Nachlass begünstigen. Unter dem geltenden Recht kann der Erblasser über einen Viertel des Nachlasses weiterhin frei verfügen. Den Viertel kann er seinem Ehegatten zu Eigentum übertragen, sofern er diesen nebst der Nutzniessung zusätzlich begünstigen will. Zukünftig soll die frei verfügbare Quote die Hälfte des Nachlasses betragen. Zudem kann die Nutzniessung nicht nur dem überlebenden Ehegatten, sondern auch dem überlebenden eingetragenen Partner eingeräumt werden.
6. Übergangsbestimmungen
Unabhängig davon, ob der Erblasser eine letztwillige Verfügung hinterlassen hat oder ein Erbvertrag abgeschlossen wurde, ist für die Bestimmung des geltenden Rechts der Todeszeitpunkt massgebend. Verstirbt der Erblasser vor Inkrafttreten des neuen Rechts, gilt das alte Recht. Verstirbt er hingegen erst nach Inkrafttreten (1. Januar 2023), gilt das neue Recht. Da mit der Erbrechtsrevision die Verfügungsfreiheit des Erblassers erhöht wird, werden die Pflichtteile durch die bereits geschriebenen letztwilligen Verfügungen und Erbverträge wohl nicht verletzt sein. Allenfalls besteht das Risiko, dass Erben entgegen dem Willen des Erblassers weniger erhalten. Setzt der Erblasser einen Erben in einem Testament auf den Pflichtteil bevor das neue Erbrecht in Kraft tritt, gilt der Pflichtteil des neuen Rechts. Vorausgesetzt natürlich, dass der Erblasser nach Inkrafttreten der Revision verstirbt.
7. Fazit
Durch die Änderungen im Erbrecht wird die Verfügungsfreiheit der Erblasserin oder des Erblassers erhöht. Wer sich unter dem neuen Erbrecht in einem Scheidungsverfahren befindet und keine letztwillige Verfügung getroffen hat riskiert, dass der überlebende Noch-Ehegatte ein gesetzlicher Erbanspruch zusteht. Wer dies verhindern will, sollte für diesen Fall in einer letztwilligen Verfügung über seinen Nachlass verfügen und den Noch-Ehegatten vom gesetzlichen Erbanspruch ausschliessen. Hat der Erblasser vor seinem Tod in einer letztwilligen Verfügung vorgesehen, dass bspw. seine Nachkommen auf den Pflichtteil gesetzt werden, würde dies nach neuem Recht nur noch die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruches betragen. Entspricht dies nicht dem Willen des Erblassers, sollte der Erblasser das Testament nach Inkrafttreten der Revision entsprechend anpassen.
Es handelt sich hierbei erst um den Anfang der Erbrechtsrevision. In zwei weiteren Etappen ist die Schaffung eines Unternehmen-Erbrechts für Familienunternehmen sowie die Überarbeitung des internationalen Erbrechts geplant. Der Zeitpunkt der Umsetzung der übrigen vorgesehenen Änderungen ist momentan noch ungewiss.
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