Vaterschaftsurlaub: Arbeitsrechtliche Stolpersteine
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Seit dem 1. Januar 2021 sind die Regelungen zum Vaterschaftsurlaub in Kraft. Eingeführt wurden zwei Wochen Vaterschaftsurlaub und eine Vergütung in der Höhe von 80% des Lohnes durch die Erwerbsersatzversicherung (EO) während der Dauer der beruflichen Abwesenheit. Finanziert wird das Ganze über eine Erhöhung des EO-Beitragssatzes von 0.45% auf 0.5%. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über damit zusammenhängende wesentliche arbeitsrechtliche Fragestellungen.
1. Anspruchsvoraussetzungen nach EOG
Ein Vater hat einen Anspruch auf Vaterschaftsurlaub gemäss Obligationenrecht (OR), wenn sein Einzelarbeitsvertrag dem schweizerischen Privatrecht unterstellt ist und dieser im Zeitpunkt der Geburt der rechtliche Vater des Kindes ist, resp. es in den nachfolgenden 6 Monaten wird (Vaterschaftsanerkennung etc.). Die Vergütung des Vaterschaftsurlaubs erfolgt grundsätzlich über die Vaterschaftsentschädigung der Erwerbsersatzordnung (EO). Dennoch gilt es zu beachten, dass sich die Anspruchsvoraussetzungen des OR sowie des Erwerbsersatzgesetzes (EOG) unterscheiden und deshalb ein Anspruch auf Vaterschaftsurlaub auch bestehen kann, ohne, dass ein Anspruch auf eine Vaterschaftsentschädigung nach dem EOG besteht. In diesem Fall wird die EO für den Vater kein Taggeld an den Arbeitgeber entrichten und der Arbeitgeber hat die entsprechenden Kosten (Personalaufwand) zu übernehmen.
Damit ein Anspruch einer Vaterschaftsentschädigung gestützt auf das EOG bejaht werden kann, müssen folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein:
- der Mann ist im Zeitpunkt der Geburt der rechtliche Vater des Kindes oder wird es in den darauffolgenden 6 Monaten (Art. 16i Abs. 1 lit. a EOG);
- der Mann ist seit mind. 9 Monaten vor der Geburt des Kindes obligatorisch im Sinne der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) versichert (Art. 16i Abs. 1 lit. b EOG); und
- der Mann ist während mindestens 5 Monaten dieser Zeit sowie bei Geburt des Kindes erwerbstätig (Art. 16i Abs. 1 lit. c und d EOG).
Einen Anspruch auf Vaterschaftsentschädigung haben auch Väter, die selbständig erwerbstätig sind oder im Betrieb der Ehefrau mitarbeiten. Unter bestimmten Voraussetzungen haben auch arbeitslose und arbeitsunfähige Väter einen Anspruch auf eine EOG-Entschädigung. Bei der Beurteilung des Anspruchs auf Vaterschaftsentschädigungen werden ausländische Versicherungszeiten sowie Erwerbstätigkeiten in EU- und EFTA-Staaten berücksichtigt. In solchen Fällen hat der Vater die Versicherungszeiten und Erwerbstätigkeiten vom Ausland bescheinigen zu lassen und diese in der Schweiz vorzulegen (vgl. Formular E104 „Bescheinigung über die Zusammenrechnung von Versicherungs-, Beschäftigungs- oder Wohnzeiten“, abrufbar unter www.ahv-iv.ch [Stand: April 2021]).
2. Vergütung via Taggelder
Eine Vergütung durch die EO erfolgt nach Anmeldung zur Vaterschaftsentschädigung (via Formular 318.747 „Anmeldung Vaterschaftsentschädigung“, abrufbar unter www.ahv-iv.ch [Stand: April 2021]). Die Entschädigung erfolgt via Taggelder. Nach Anmeldung bezahlt die EO die Beiträge an die Arbeitgeber resp. an die selbständig erwerbenden, arbeitslosen oder arbeitsunfähigen Väter aus. Die Entschädigung beträgt 80% des durchschnittlichen AHV-pflichtigen Erwerbseinkommens vor der Geburt des Kindes. Die Entrichtung erfolgt für 14 Taggelder à max. CHF 196.- pro Tag. Das maximale Taggeld wird bei unselbständig Erwerbstätigen mit einem Monatseinkommen von CHF 7‘350.- (CHF 7‘350.- x 0.8 / 30 Tage = CHF 196.-/Tag) und bei Selbständigerwerbenden mit einem AHV-pflichtigen Jahreseinkommen von CHF 88‘200.- (CHF 88‘200.- x 0.8 / 360 Tage = CHF 196.-/Tag) erreicht. Eine Geltendmachung des Anspruchs (via der durch die Ausgleichskassen zur Verfügung gestellten Formulare) hat nach Bezug der Vaterschaftsurlaubstage bei der Ausgleichskasse zu erfolgen.
Der Anspruch auf Vaterschaftsentschädigung kann durch folgende Personen bei der zuständigen Ausgleichskasse geltend gemacht werden:
- durch den Vater (via seinen Arbeitgeber, wenn unselbständig erwerbend oder direkt über ihn bei Ausgleichskasse, wenn er selbständig erwerbend, arbeitslos oder arbeitsunfähig ist);
- durch den Arbeitgeber (sofern der Vater es unterlässt, den Anspruch via Arbeitgeber geltend zu machen und der Arbeitgeber während der Dauer der Urlaubstage einen Lohn an den Vater entrichtet hat); oder
- durch die Ehefrau oder die eigenen Kinder des Vaters (sofern der Vater seinen Unterhalts- oder Unterstützungspflichten nicht nachkommt).
Ist der Vater im Zeitpunkt der Geburt angestellt, arbeitslos oder arbeitsunfähig, hat der aktuelle resp. letzte Arbeitgeber die Dauer des Arbeitsverhältnisses, den für die Bemessung der Vaterschaftsentschädigung massgebenden Lohn, den von ihm während der Dauer des Taggeldbezugs allfällig ausgerichteten Lohn sowie die bezogenen Vaterschaftsurlaubstage zu bescheinigen.
Für die Anmeldung ist das Formular 318.747 „Anmeldung Vaterschaftsentschädigung“ (abrufbar unter www.ahv-iv.ch [Stand: April 2021]) zu verwenden. Das ausgefüllte Formular ist i.d.R. an diejenige Ausgleichskasse zu übermitteln, bei welcher der Vater Sozialversicherungsbeiträge abrechnet.
3. Rahmenfrist und Zeitpunkt des Bezugs
Der Anspruch auf eine Vaterschaftsentschädigung beginnt am Tag der Geburt. Er endet grundsätzlich, wenn die 14 Taggelder bezogen wurden, spätestens aber nach Ablauf der 6-monatigen Rahmenfrist nach der Geburt. Der Vaterschaftsurlaub muss während der Rahmenfrist bezogen werden. Der Anspruch auf die Entrichtung der Vaterschaftsentschädigung durch die EO kann allerdings bis 5 Jahre nach Ablauf der 6-monatigen Rahmenfrist geltend gemacht werden. Nach Ablauf der 5 Jahre erlischt der Anspruch ohne weitere Ansprüche.
Die Rahmenfrist bleibt auch bei einem Stellenwechsel unverändert. Im letzteren Fall ist eine Informationspflicht des Arbeitnehmer zugunsten des neuen Arbeitgebers im Hinblick auf die noch nicht bezogenen Vaterschaftsurlaubstage anzunehmen. Ein Bezug des Vaterschaftsurlaubs ist tageweise oder wochenweise möglich. Dabei bestimmt grundsätzlich wie üblich der Arbeitgeber den Zeitpunkt des Urlaubs, wobei dieser jedoch stärker als beim üblichen Urlaubsbezug auf die Wünsche des Arbeitnehmers (neuer Vater) Rücksicht nehmen muss (gerechtfertigt durch begrenzte Bezugsfrist („Rahmenfrist“) sowie Sinn und Zweck des Vaterschaftsurlaubs).
4. Ferienkürzung, Kündigung und Krankheit/Unfall während Vaterschaftsurlaub
Gestützt auf die Neuregelung von Art. 329b Abs. 3 OR darf der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Ferien nicht kürzen, weil der Arbeitnehmer Vaterschaftsurlaub bezogen hat. Will der Arbeitgeber den Arbeitnehmer entlassen, verlängert sich die Kündigungsfrist um die effektiv noch nicht bezogenen Tage des Vaterschaftsurlaubs (d.h. Verlängerung des Arbeitsverhältnisses nicht zwingend auf das nächste Monatsende!). Kündigt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer während des Vaterschaftsurlaubs, ist die Kündigung grundsätzlich gültig (vorbehältlich des Rechtsmissbrauchsverbots).
Für die Probezeit erfolgt keine analoge Anwendung der vorgenannten Regelung. Eine Verlängerung der Probezeit findet demnach nicht statt, wenn der Arbeitnehmer noch Anspruch auf Urlaubstage wegen Vaterschaftsurlaubs hat und das Arbeitsverhältnis während der Probezeit aufgelöst wird.
Sollte der Vater während des Vaterschaftsurlaubs erkranken oder verunfallen,hat der Vater – analog des üblichen Urlaubs – i.d.R. gegen Vorlage eines Arztzeugnisses ein Nachgewährungsrecht.
5. Einzelvertragliche/individuelle Abreden
Wurde auf einzelvertraglicher/individueller Basis eine günstigere Abrede bezüglich Vaterschaftsurlaub und/oder Urlaubsentschädigung (z.B. Vergütung von 100% Lohn anstelle der gesetzlichen 80%) vorgesehen, bleibt diese Abrede auch unter dem neuen Recht bestehen. Will der Arbeitgeber von dieser Vereinbarung zurücktreten, muss er den Weg der Änderungskündigung beschreiten (alternativ: ordentliche Kündigung und gänzliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses). War die einzelvertraglich/individuell vereinbarte Abrede allerdings für den Arbeitnehmer nachteiliger als die seit 1. Januar 2021 geltende gesetzliche Regelung, tritt die Neuregelung an die Stelle der Abrede. Eine Kumulation von einzelvertraglichen sowie gesetzlichen Ansprüchen gilt es zu verneinen. In Anbetracht des vorher genannten dürfte die gesetzliche Neuregelung die Neuverhandlung von manchen Gesamtarbeitsverträgen (GAV) zur Folge haben.
6. Beiträge an die AHV, IV und EO
Die anstelle des Lohnes ausgerichtete Vaterschaftsentschädigung gilt als Einkommen. Darauf sind deshalb AHV-, IV- und EO-Beiträge zu entrichten. Diese Beiträge werden auf dem individuellen Konto der versicherten Person (des Vaters) bei der Ausgleichskasse eingetragen und folglich bei der Berechnung künftiger Renten mitberücksichtigt. Ist der Vater Arbeitnehmer, so erfolgt zudem ein Abzug eines Beitrags an die Arbeitslosenversicherung.
7. Fazit
Mit der Einführung der Regelungen zum Vaterschaftsurlaub in Art. 329g OR sowie zur Vaterschaftsentschädigung im EOG, gibt es für Arbeitgeber zahlreiche Stolpersteine, welche es zu berücksichtigen gilt. Allfällige Personalreglemente und weitere einzelvertragliche Abreden, welche eine Regelung auf tieferem Niveau für Väter vorgesehen haben, sind zu berichtigen und die Umsetzung des Vaterschaftsurlaubs ist von den Arbeitgebern organisatorisch sowie finanziell sicherzustellen.
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