Vertrauensärztliche Untersuchung – Wann kann sie durch den Arbeitgeber angeordnet werden?

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Ist ein Arbeit­neh­mer krank oder ver­un­fallt, hat der Arbeit­ge­ber die Kom­pe­tenz eine ver­trau­ens­ärzt­li­che Unter­su­chung anzu­ord­nen. Doch unter wel­chen Umstän­den kann eine sol­che Unter­su­chung ange­ord­net wer­den? Muss der Arbeit­neh­mer einer sol­chen Anord­nung Fol­ge leisten?

Hin­ter­grund

Ver­un­fallt oder erkrankt ein Arbeit­neh­mer unver­schul­det, so ist er vor einem Lohn­aus­fall oder vor einer Kün­di­gung inner­halb der Sperr­frist von Geset­zes wegen geschützt.[1] Die Pflicht zur Lohn­fort­zah­lung besteht jedoch nur, sofern die Krank­heit bewie­sen ist. Den Beweis dafür hat in der Regel der Arbeit­neh­mer zu erbrin­gen.[2] Wur­de ver­trag­lich ver­ein­bart, dass ein Arzt­zeug­nis bspw. erst nach Ablauf von drei Krank­heits­ta­gen vor­ge­legt wer­den muss, ist der Arbeit­ge­ber für die ers­ten drei Krank­heits­ta­ge beweis­pflich­tig, sofern er für die­se Zeit den Lohn nicht fort­zah­len will.[3] Grund­sätz­lich eig­net sich als Beweis das Arzt­zeug­nis. Mit die­sem ist der Beweis jedoch nicht voll­ends erbracht. Es kann vor­kom­men, dass ein Arzt­zeug­nis vom Arbeit­neh­mer miss­bräuch­lich ein­ge­holt wird. Hat der Arbeit­ge­ber den Ver­dacht, dass kei­ne krank­heits- oder unfall­be­ding­te Arbeits­ver­hin­de­rung besteht, kann die­ser eine ver­trau­ens­ärzt­li­che Unter­su­chung ver­lan­gen.[4]

Vor­aus­set­zun­gen für die Anord­nung einer ver­trau­ens­ärzt­li­chen Untersuchung

Nor­ma­ler­wei­se lässt sich der Arbeit­neh­mer von sei­nem Haus­arzt oder von einem Spe­zia­lis­ten sei­ner Wahl unter­su­chen und sich folg­lich von die­sem das Arzt­zeug­nis aus­stel­len. Sobald der Arbeit­ge­ber aber berech­tig­te Zwei­fel an der Rich­tig­keit eines Arzt­zeug­nis­ses hat oder eine ent­spre­chen­de ver­trag­li­che Ver­ein­ba­rung besteht, kann er eine ver­trau­ens­ärzt­li­che Unter­su­chung des Arbeit­neh­mers ver­lan­gen.[5] Als ein Arbeit­neh­mer beim zwei­ten Kün­di­gungs­ver­such ein rück­da­tier­tes Arzt­zeug­nis vor­leg­te, beur­teil­te das Bun­des­ge­richt die Zwei­fel als berech­tigt. In die­sem Fall wies der Arbeit­neh­mer beim zwei­ten Kün­di­gungs­ver­such ein rück­da­tier­tes Arzt­zeug­nis vor. Die­ses betraf die ent­schei­den­de, sperr­frist­aus­lö­sen­de Zeit­span­ne. Der ers­te Kün­di­gungs­ver­such des Arbeit­ge­bers schei­ter­te an der, durch die Krank­heit, aus­ge­lös­ten Sperr­frist. Zudem woll­te der Arbeit­neh­mer sei­ne behan­deln­den Ärz­te gegen­über dem Ver­trau­ens­arzt des Arbeit­ge­bers nicht von der Schwei­ge­pflicht ent­bin­den.[6] Auch all­fäl­li­ge Betä­ti­gun­gen wäh­rend der schein­ba­ren Krank­heits­zeit, zahl­rei­che Arzt­wech­sel oder die erst nach­träg­li­che Kon­sul­ta­ti­on eines Arz­tes kön­nen berech­tig­te Zwei­fel begrün­den.[7]

Fol­gen bei unbe­rech­tig­ter Verweigerung

Wider­setzt sich der Arbeit­neh­mer einer sach­lich gerecht­fer­tig­ten ver­trau­ens­ärzt­li­chen Unter­su­chung, muss der Arbeit­neh­mer unter ande­rem damit rech­nen, dass das Gericht die Arbeits­un­fä­hig­keit anzwei­felt.[8] Der Arbeit­neh­mer hat folg­lich den Beweis über sei­ne Krank­heit nicht genü­gend erbracht. Der Arbeit­ge­ber hat dann die Mög­lich­keit die Lohn­zah­lung vor­über­ge­hend oder sogar voll­stän­dig ein­zu­stel­len.[9] Auch wird durch eine nicht bewie­se­ne Arbeits­un­fä­hig­keit die Sperr­frist nicht aus­ge­löst. Eine Kün­di­gung, die wäh­rend der unbe­grün­de­ten Abwe­sen­heit des Arbeit­neh­mers erfolgt, ist gültig.

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[1] Art. 324a Abs. 1 OR; Art. 336c Abs. 1 lit. b OR.

[2] Art. 8 ZGB; BSK OR I-PORTMANN/RUDOLPH, Art. 324a, N 24. 

[3] BK-REHBINDER/STÖCKLI, N 18.

[4] Ergibt sich aus der Treue­pflicht Art. 321a Abs. 1 OR.

[5] Tho­mas Piet­rus­zak, in: Hon­sell [Hrsg.], Kurz­kom­men­tar OR, Basel, 2014, N. 17 zu Art. 324a OR. 

[6] BGer 8C_619/2014, E. 3 ff.

[7] STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, N 12.

[8] Urteil des Kan­tons­ge­richts St. Gal­len, 111. Zivil­kam­mer, 15. Dezem­ber 2009 (BZ.2009.64-K3).

[9] BSK OR I-PORTMANN/RUDOLPH, Art. 324a, N 25.