Betreuungsurlaub für kranke Familienangehörige sowie schwerkranke Kinder

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Seit dem 1. Januar 2021 gelten verschiedene Neuregelungen zum Thema der Betreuung von kranken Kindern und Angehörigen. Das neue Bundesgesetz über die Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenbetreuung wird in zwei Etappen eingeführt. Die Neuregelung hat insbesondere auch Auswirkungen auf das Obligationenrecht (OR), das Arbeitsgesetz (ArG) sowie das Erwerbsersatzgesetz (EOG). Dieser Beitrag fasst einige wesentliche Änderungen zusammen.
1. Überblick
Das neue Bundesgesetz über die Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenbetreuung wird in zwei Etappen in Kraft gesetzt. Mit der ersten Etappe, welche am 1. Januar 2021 in Kraft getreten ist, wurde die Lohnfortzahlung bei kurzen Arbeitsabwesenheiten geregelt. Auch wurden die Betreuungsgutschriften der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) ausgeweitet. Der Anspruch auf den Intensivpflegezuschlag und die Hilflosenentschädigung der Invalidenversicherung (IV) wurde für Kinder angepasst. In der zweiten Etappe, welche per 1. Juli 2021 in Kraft tritt, wird ein bezahlter 14-wöchiger Urlaub für die Betreuung von schwer erkrankten oder verunfallten Kindern eingeführt.
2. Erste Etappe: Kurzfristige Abwesenheit wegen Krankheit oder Unfällen in der Familie
Es wurde mit Art. 329h OR ein bezahlter Urlaub eingeführt, damit Arbeitnehmer im Ernstfall kranke oder verunfallte Familienmitglieder einschliesslich Lebenspartner, betreuen können. Damit hat der Arbeitgeber betroffenen Arbeitnehmern gegen Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses Urlaub für die Betreuung eines Familienangehörigen oder Lebenspartners mit gesundheitlicher Beeinträchtigung zu gewähren. Pro Ereignis ist die für die Betreuung erforderliche Dauer auf maximal 3 Tage beschränkt. Pro Jahr ist der Anspruch auf Betreuungsurlaub auf höchstens 10 Tage (diese Grenze gilt allerdings nicht bei Kindern) beschränkt. Während der Dauer des Betreuungsurlaubs ist der Arbeitgeber wegen der gesetzliche Lohnfortzahlungspflicht (Art. 324a OR) verpflichtet, den Lohn weiter zu bezahlen. Bei kranken Kindern sind Arbeitnehmer grundsätzlich solange von der Arbeitspflicht freigestellt, als ein Ersatz für die Kinderbetreuung gefunden wurde, resp. solange die Präsenz der Eltern beim Kind notwendig ist. Die Voraussetzung der „Notwendigkeit der Betreuung“ hängt insbesondere auch von der Verfügbarkeit anderer Personen ab. Es gilt der bekannte Grundsatz der gegenseitigen familiären Unterstützungspflicht.[1]
Bei Ehepartnern oder in eingetragenen Partnerschaften dort ist der Arbeitnehmer bis zur gesetzlich genannten Dauer von 3 Tagen pro Ereignis und 10 Tagen pro Jahr bezahlt von der Arbeitsleistung freigestellt, bis eine Ersatzlösung für die Betreuung gefunden wurde.
Mit der Neuregelung von Art. 329h OR und Art. 36 Abs. 3 und 4 ArG wird dem Arbeitnehmer für die Betreuung von Familienmitgliedern,[2] des Ehegatten oder des Lebenspartners (welche mit dem Arbeitnehmer seit mind. 5 Jahren in einem gemeinsamen Haushalt leben) das Recht auf eine bezahlte kurzzeitige Arbeitsabwesenheit von bis zu 3 Arbeitstagen pro Ereignis (maximal 10 Tage im Jahr) eingeräumt. Die obligationenrechtliche Bestimmung ist dabei relativ-zwingend, d.h. sie kann nur zu Gunsten, nicht aber zu Lasten des Arbeitnehmers vertraglich abgeändert werden.
Die Beschränkung des Anspruchs auf 3 Tage „pro Ereignis“ gilt auch bei Langzeitverläufen. Damit wird klargestellt, dass eine erneute Geltendmachung des Anspruchs (bezahlte Freistellung und Abwesenheit) für dasselbe Ereignis im Folgejahr ausgeschlossen ist. Es gilt jedoch zu beachten, dass Art. 329h OR eine eigenständige Anspruchsgrundlage für die Lohnfortzahlung schafft, welche keine Auswirkungen auf Art. 324a OR hat. Es ist deshalb denkbar und zulässig, dass der Arbeitnehmer vorerst 3 Tage Lohnfortzahlung für die Betreuung eines kranken Kindes gestützt auf Art. 329h OR geltend macht und danach der Arbeit gestützt auf Art. 324a OR fernbleibt.
Die Beweislast, dass die Voraussetzungen erfüllt sind, trägt der Arbeitnehmer. Er hat diese in jedem Einzelfall darzulegen. Das ArG sieht dafür z.B. das Vorlegen eines Arztzeugnisses vor.
Die Ausweitung der Betreuungsgutschriften in der AHV hat zur Folge, dass betreuende Angehörige auch dann eine Gutschrift erhalten, wenn die pflegebedürftige Person eine Hilflosenentschädigung nur leichten Grades bezieht. Auch Lebenspartner haben Anspruch darauf. Letzteres gilt, sofern der gemeinsame Haushalt seit mind. 5 Jahren geführt wird. Der Intensivpflegezuschlag wurde dahingehend angepasst, dass der Anspruch während des Spitalaufenthalts des Kindes nicht mehr aufgehoben wird. Wenn ein Spitalaufenthalt länger als 1 Monat dauert, werden die Entschädigungen weiterhin ausbezahlt, sofern die elterliche Anwesenheit im Spital erforderlich ist.
3. Zweite Etappe: Berufliche Abwesenheit wegen schwer kranker oder verunfallter Kinder
Am 1. Juli 2021 werden Neuregelungen zum Betreuungsurlaub für schwer kranke Kinder in Kraft treten. Gestützt darauf haben Arbeitnehmer Anspruch auf freie Tage gemäss OR sowie Anspruch auf eine Betreuungsentschädigung gemäss EOG. Für die Betreuung eines schwer erkrankten oder verunfallten Kindes ist gesetzlich ein Betreuungsurlaub von maximal 14 Wochen vorgesehen, welcher innert einer Rahmenfrist von 18 Monaten bezogen werden muss. Die Rahmenfrist beginnt an dem Tag, an welchem das erste Taggeld bezogen wird. Ein Bezug kann tageweise oder am Stück erfolgen. Dabei ist nicht relevant, wer von den beiden Eltern den Betreuungsurlaub bezieht sowie ob die Eltern verheiratet sind oder nicht. Es ist einzig das Kindesverhältnis nach Art. 252 des Zivilgesetzbuchs (ZGB) relevant. Wenn beide Elternteile Arbeitnehmer sind, hat jeder Elternteil Anspruch auf einen Betreuungsurlaub von maximal 7 Wochen, wobei sie allerdings eine abweichende Aufteilung des Urlaubs (z.B. Mutter 8 Wochen, Vater 6 Wochen) wählen dürfen.
In diesem Zusammenhang kommt es auch zu einer Änderung bei den Kündigungsbestimmungen: Gemäss dem neuen Art. 336c Abs. 1 lit. cbis OR darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fortan nicht kündigen, „solange der Anspruch auf Betreuungsurlaub nach Artikel 329h besteht, längstens aber während sechs Monaten ab dem Tag, an dem die Rahmenfrist zu laufen beginnt“. Eine Kürzung der Ferien des Arbeitnehmers darf durch den Arbeitgeber nicht erfolgen, weil dieser Betreuungsurlaub bezogen hat.
Die Anspruchsberechtigung nach EOG ist in Art. 16n EOG geregelt. Erfasst sind die Eltern eines minderjährigen Kindes, das wegen Krankheit oder Unfall gesundheitlich schwer beeinträchtigt (vgl. dazu Art. 16o EOG) ist, welche die Erwerbstätigkeit für die Betreuung unterbrechen und im Zeitpunkt der Unterbrechung entweder Arbeitnehmer, selbständig Erwerbende oder im Betrieb des Ehegattens mitarbeitend waren. Als Beweis für die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit für die Pflege des Kindes ist das Arztzeugnis zur Krankheit oder zum Unfall des Kindes beizubringen. Die EOG-Leistung beträgt 80 Prozent des Eikommens desjenigen Einkommens vor dem Urlaub, höchstens allerdings CHF 196.- pro Tag. Der zeitliche Kündigungsschutz beträgt maximal 6 Monate ab dem ersten Taggeldbezug.
Der Anspruch auf Betreuungsurlaub steht im Zusammenhang mit dem Anspruch auf Betreuungsgutschriften nach dem EOG. Für die Bejahung eines Anspruchs nach EOG und damit einer Vergütung durch die EO wird eine schwere gesundheitliche Einschränkung beim Kind verlangt. Eine solche gilt es regelmässig zu bejahen, wenn i) eine einschneidende Veränderung des körperlichen oder psychischen Zustands des Kindes vorliegt, ii) der Verlauf oder der Ausgang dieser Veränderung schwer vorhersehbar oder mit bleibender oder zunehmender Beeinträchtigung oder (wahrscheinlich) mit Tod verbunden ist, und iii) wenn ein erhöhter Bedarf an Betreuung durch die Eltern vorliegt.
4. Fazit
Unter der neuen Rechtslage erfolgt insbesondere auch eine Koordination der Regelungen im ArG und dem OR. Seit dem 1. Januar 2021 gilt eine Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers zugunsten eines Arbeitnehmers, welcher für die Betreuung eines Familienmitglieds oder Lebenspartners mit gesundheitlichen Beeinträchtigung während einer kurzzeitigen Abwesenheit von maximal 3 Tagen (bis zu 10 Tagen pro Jahr) an der Arbeitsleistung verhindert ist. Per 1. Juli 2021 treten zudem neue Bestimmungen in Kraft. Diese führen einen Betreuungsurlaub von bis zu 14 Wochen pro Jahr ein, wenn ein Kind eines Arbeitnehmers in seiner Gesundheit resp. wegen einer Krankheit schwer beeinträchtigt wird.Es wird Eltern von gesundheitlich schwer beeinträchtigten oder kranken Kindern ein Betreuungsurlaub von 14 Wochen pro Jahr gewährt. Finanziert wird dies durch Taggelder der EO. Damit erfolgt eine Ausweitung der Betreuungsgutschriften der AHV. Das OR sowie das ArG wird im Bereich der Lohnfortzahlung während der Angehörigenbetreuung entsprechend geändert.
Die Neuregelungen werden, nicht zuletzt auch wegen der Erweiterung der Kündigungssperrfrist um die 18-monatige Rahmenfrist, voraussichtlich grössere praktische Bedeutung für Schweizer Arbeitgeber haben.
Hueberli Lawyers AG ist spezialisiert auf arbeits- und gesellschaftsrechtliche Fragestellungen. Wir unterstützen Sie gerne und freuen uns über Ihre Kontaktaufnahme.
[1] Bei jüngeren Kindern dürfte ein Betreuungsbedarf eher zu bejahen sein als bei älteren Kindern. Zudem gilt: Je schwerer die Beeinträchtigung ist (z.B. komplette Hilfsbedürftigkeit), desto eher dürfte ein Betreuungsbedarf (z.B. beim Ehegatten oder der Eltern) zu bejahen sein.
[2] Darunter fallen grundsätzlich Verwandte in auf- und absteigender Linie wie Eltern, Kinder und Geschwister, aber auch Schwiegereltern.