Publizitätspflichten nach Kotierung
Tour d’Horizon der verschiedenen Offenlegungs-, Informations- und Transparenzvorschriften für börsenkotierte Gesellschaften
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A. Einleitung
Die verschiedenen Publizitätsvorschriften für kotierte Gesellschaften in der Schweiz wurden in den vergangenen Jahren stetig ausgebaut. Dieser Beitrag soll im Sinne einer „Tour d’Horizon“ die aktuell geltenden Publizitätspflichten einer kotierten Gesellschaft in der Schweiz auf wenigen Seiten zusammenfassend darstellen. Wo notwendig und sinnvoll, wird auf die ausführliche Literatur verwiesen. Einzelne Publizitätspflichten werden von anderen Autoren in diesem Werk detailliert behandelt, auf deren Beiträge an der entsprechenden Stelle verwiesen wird. Schliesslich wird, wo notwendig und sinnvoll, kurz auf internationale Regulierungen, insbesondere der Europäischen Union, eingegangen.
Diese Publikation befasst sich mit Publizitätspflichten von börsenkotierten Gesellschaften und erwähnt die ebenfalls existieren Publizitätspflichten von nicht kotierten Gesellschaften nur am Rande. Publizitätspflicht im hier verstandenen Sinn meint, „dass bestimmte Informationen über das Unternehmen einem bestimmten Kreis von Informationsberechtigten zugänglich zu machen sind. Demnach ist dann nach der Person des Informationsberechtigten weiter zu unterscheiden zwischen Publizität gegenüber der Öffentlichkeit als solcher und Publizität gegenüber einem beschränkten Kreis von Informationsberechtigten, insb. den Gesellschaftern. In diesem weiten Sinn gehören Auskunfts- und Einsichtsrechte der Gesellschaft zur Publizität. Nicht erfasst sind hingegen weitere Pflichten, welche an eine Kotierung geknüpft sind (z.B. Anforderungen an die Revisionsstelle, weitere Anforderungen an den Emittenten oder die kotierte Aktie, etc.).
B. Publizitätspflichten von nicht kotierten Gesellschaften
Insbesondere das Obligationenrecht enthält an verschiedenen Stellen Bestimmungen zu Publizitätspflichten. Diese gelten gleichermassen für kotierte und nicht kotierte (Aktien-)Gesellschaften. Während auf die speziellen Bestimmungen für kotierte Gesellschaften später eingegangen wird, ist hier ein kurzer Überblick über die Publizitätsvorschriften des Obligationenrechts zu geben.
Zunächst haben Aktiengesellschaften spätestens 20 Tage vor der ordentlichen Generalversammlung den Geschäfts- und den Revisionsbericht den Aktionären am Gesellschaftssitz zur Einsicht aufzulegen. Das Rechnungslegungsrecht enthält die entsprechen-den Vorschriften betreffend Buchführung und Rechnungslegung.
Weiter bestehen Auskunftspflichten der Gesellschaft und Informationsrechte der Aktionäre im Rahmen der Generalversammlung. So ist jeder Aktionär berechtigt, an der Generalversammlung vom Verwaltungsrat Auskunft über die Angelegenheiten der Gesellschaft und von der Revisionsstelle über Durchführung und Ergebnis ihrer Prüfung zu verlangen. Gegenstand dieses Auskunftsbegehrens können grundsätzlich sämtliche Angelegenheiten der Gesellschaft sein, sofern die entsprechende Information in Zusammenhang mit der Ausübung der Aktionärsrechte steht und für die Lagebeurteilung von Bedeutung ist. In jedem Fall können die Geschäftsbücher und Korrespondenzen nur mit ausdrücklicher Ermächtigung der Generalversammlung oder durch Beschluss des Verwaltungsrates und unter Wahrung der Geschäftsgeheimnisse eingesehen werden.
Das Aktienrecht enthält verstreut weitere Publizitätspflichten. So haben Aktionäre ein Einsichtsrecht in die GV-Protokolle. Weiter haben diese das Recht, auf Anfrage hin schriftlich über die Organisation der Geschäftsführung orientiert zu werden. Schliesslich enthalten die per 1. Juli 2015 in Kraft getretenen Bestimmungen der GAFI-Revision insbesondere für Inhaberaktionäre gewichtige Publizitätspflichten. Der Erwerber von Inhaberaktien an einer Schweizer Aktiengesellschaft ist verpflichtet, den Erwerb innerhalb eines Monats der betreffenden Gesellschaft zu melden. Die Gesellschaft trifft die Pflicht, ein Verzeichnis der Aktionäre analog dem Aktienbuch sowie der wirtschaftlich berechtigten Person zu führen. Mit der Pflicht zur Offenlegung der Aktionärsstellung gegenüber der Gesellschaft wird die Inhaberaktie zwar nicht formell abgeschafft, die bisher mit der Inhaberaktie verbundene Anonymität aber aufgehoben. Die praktische Relevanz der Inhaberaktie dürfte damit massiv sinken. Allerdings finden die neuen Bestimmungen keine Anwendung auf börsenkotierte Gesellschaften.
C. Publizitätspflichten bei Kotierung
Auf eine detaillierte Erläuterung der umfassenden Publizitätspflichten im Rahmen eines Börsenganges wird in dieser kurzen Übersicht verzichtet. Die praktisch bedeutsamste Publizitätspflicht, der Kotierungsprospekt, wird im vorliegenden Werk von MATTHIAS COURVOISIER umfassend dargelegt.
Bei einem IPO an der SIX sind hierzu insbesondere die Art. 27 – 41 des Kotierungsreglements von zentraler Bedeutung. Demnach hat neben dem Kotierungsprospekt auch die Publikation einer „Offizielle Mitteilung“ zu erfolgen. Darin sollen (potentielle) Anleger u.a. über die beantragte Kotierung sowie den Bezug des Kotierungsprospekts orientiert werden. Form und Inhalt der „Offiziellen Mitteilung“ richten sich insbesondere nach der Richtlinie „Verfahren Beteiligungsrechte RLVB“ .
Weiter muss der Emittent seine Jahresabschlüsse für die drei dem Kotierungsgesuch vorangegangenen Geschäftsjahre gemäss dem geltenden Rechnungslegungsstandard erstellt haben.
Im internationalen Bereich ist insbesondere auf die Prospektrichtlinie der EU zu verweisen. Diese zielt darauf ab, dass angemessene und gleichwertige Offenlegungsnormen betreffend den Prospekt in allen EU-Ländern gültig sind.
D. Publizitätspflichten nach Kotierung
Die anlässlich der Kotierung von der Gesellschaft offen gelegten Sachverhalte ändern sich naturgemäss im Laufe der Zeit. Zudem kommen diverse neue Informationen hinzu, welche für die Anleger und andere Anspruchsgruppen von Interesse sind. Entsprechend sehen Gesetz sowie insbesondere die Regularien der Börsen diverse Publizitätspflichten zur Aufrechterhaltung der Kotierung vor.
Im Folgenden Kapitel werden zunächst die Rechtsquellen der verschiedenen Publizitätspflichten von kotierten Gesellschaften in der Schweiz und der Europäischen Union aufgezeigt. Danach folgen die einzelnen Pflichten, welche weitgehend anhand der Regularien der SIX, teilweise mit Hinweisen auf internationale Regulierungen, erläutert werden.
I. Rechtsquellen
1. Bundesprivatrecht
Im nationalen Bereich enthält zunächst das Obligationenrecht verschiedene Vorschriften zu den Publizitätspflichten. Betreffend die Bestimmungen, welche sowohl für kotierte- als auch für nicht kotierte Gesellschaften gelten, ist auf Kapitel B dieses Beitrags zu verweisen. Daneben enthält das Aktienrecht aber auch Offenlegungs- und Transparenzvorschriften, welche direkt an die Kotierung einer Gesellschaft geknüpft sind. Hierzu sind vor allem die Bestimmungen über den zwingenden Inhalt des Bilanzanhangs, insbesondere zur Vergütung und zur Nennung von bedeutenden Aktionären, zu nennen. Weiter gelten für kotierte Gesellschaften Sonderbestimmungen über die kaufmännische Buchführung und Rechnungslegung.
2. Weiteres Gesetzesrecht
Auf Gesetzesebene enthält das am 1. Januar 2016 in Kraft getretene FinfraG zentrale Bestimmungen zur Publizitätspflicht von kotierten Gesellschaften. Insbesondere verpflichtet Art. 35 FinfraG die Börsen zum Erlass eines Reglements betreffend die Zulassung von Effekten. Darin enthalten müssen Bestimmungen über die Offenlegung von Informationen sowie über die Pflichten der Emittenten zur Aufrechterhaltung der Kotierung sein. Die neue Gesetzgebung löste in weiten Bereichen das BEHG ab.
3. Verordnungsebene
Auf Verordnungsebene ist die Finfra und die FinfraV-FINM zu nennen, welche die sehr allgemein gehaltenen Bestimmungen des FinfraG konkretisieren. Weiter enthält die am 1. Januar 2014 in Kraft getretene Vegü umfassende Transparenz- und Publizitätspflichten betreffend die Vergütungen des Verwaltungsrats, der Geschäftsleitung und gegebenenfalls des Beirats. Schliesslich enthält die UEV Normen über die Lauterkeit und die Transparenz von öffentlichen Kaufangeboten sowie die Gleichbehandlung der Anlegerinnen und Anleger.
4. Regularien der Finanzmarktinfrastrukturen
Der überwiegende Teil der Vorschriften, welche sich konkret und direkt an die Marktteilnehmer richten, finden sich aber in den Reglementen, welche die Börsen gestützt auf Art. 35 FinfraG erlassen haben. Die SIX Swiss Exchange AG hat neben dem Kotierungsreglement, welches die allgemeinen Bestimmungen zur Kotierung und insbesondere zu Publizitätsvorschriften enthält, diverse Zusatzreglemente und Richtlinien erlassen. Im Bereich Publizitätsvorschriften sind hierbei besonders die Richtlinie „Rechnungslegung RLR“, die Richtlinie „Corporate Governance RLCG“ und die Richtlinie „Ad hoc-Publizität RLAhP“ zu erwähnen. Die Gesamtübersicht der Emittenten Regularien auf der Homepage der SIX bietet eine hierarchische Zusammenstellung aller relevanten Regularien, die für die Zulassung von Effekten notwendig sind. Am Rande sei die auf Schweizer KMU sowie kleinere Immobilien-, Investment- und Fondsgesellschaften spezialisierte BX Berne eXchange erwähnt, welche ebenfalls ein Kotierungsreglement und einige Nebenerlasse betreffend Publizitätsvorschriften erlassen hat.
5. Internationales Recht
Im internationalen Bereich ist insbesondere das EU-Finanzmarktrecht mit seinen Publizitätsvorschriften für die Schweiz von Interesse. EU-Recht entfaltet in der Schweiz zwar keine direkte Wirkung, allerdings hat die Börse gemäss Art. 35 FinfraG bei Erlass ihrer Regularien den „anerkannten internationalen Standards Rechnung“ zu tragen. Hierbei dürften insbesondere die EU-Richtlinien RL 2014/65/EU (MiFID II), RL 2004/109/EG (Transparenzrichtlinie), RL 2003/71/EG (Prospektrichtlinie) sowie die Verordnung EU Nr. 596/2014 (Marktmissbrauchsverordnung MAR) von Bedeutung sein.
II. Informationspflichten
Die für nicht kotierte Gesellschaften dargelegten Publizitätspflichten gelten selbstredend auch für börsenkotierte Unternehmen. Bei Letzteren kommen nun aber weitere, umfassende Offenlegungspflichten hinzu. Diese sollen beispielhaft an den Vorschriften der SIX erläutert werden. Deren Kotierungsreglement (KR) regelt unter dem Kapitel III die „Bedingungen für die Aufrechterhaltung der Kotierung“. Demzufolge haben an der SIX kotierte Gesellschaften die entsprechenden (Publizitäts-)vorschriften gemäss dem Kapitel III KR SIX dauernd und umfassend zu erfüllen.
1. Periodische Berichterstattung
a) Periodizität
Börsenkotierte Gesellschaften haben jährlich einen Geschäftsbericht zu veröffentlichen, welcher den geprüften Jahresabschluss gemäss dem anwendbaren Rechnungslegungsstandard sowie den zugehörigen Bericht der Revisionsstelle (Testat) umfasst. Der Geschäftsbericht ist dabei innert vier Monaten nach dem Abschlussstichtag des Jahresabschlusses zusammen mit diesem zu veröffentlichen.
Zusätzlich haben Emittenten kotierter Beteiligungsrechte mindestens halbjährlich einen Zwischenbericht zu veröffentlichen. Dieser hat grundsätzlich denselben Anforderungen wie die jährliche Berichterstattung zu genügen, obwohl die Prüfungspflicht beim Zwischenbericht entfällt. Für die Veröffentlichung des Zwischenberichts ist eine Frist von drei Monaten nach dem Abschlussstichtag des Zwischenabschlusses vorgesehen. Sonderbestimmungen gelten für Investment- und Immobiliengesellschaften.
Ferner ist die zusätzliche Veröffentlichung von Quartalsabschlüssen unter denselben Anforderungen wie beim halbjährlichen Abschluss auf freiwilliger Basis möglich.
Für die entsprechenden Meldepflichten sowie die Form der Veröffentlichung ist die Richtlinie „Regelmeldepflichten RLR“ der SIX massgebend.
b) Rechnungslegungsstandards
Das Regulatory Board der SIX hat gestützt auf das Kotierungsreglement unter Berücksichtigung international anerkannter Standards die anerkannten Rechnungslegungsstandards für Beteiligungsrechte definiert. Massgebend hierzu ist insbesondere die Richtlinie „Rechnungslegung RLR“. Demnach ist der anwendbare Rechnungslegungsstandard abhängig vom regulatorischen Standard des jeweiligen Unternehmens. Dabei hat in den vergangenen Jahren mehrfach eine Änderung der Bezeichnung der verschiedenen regulatorischen Standards stattgefunden. Aktuell unterteilt die SIX den Standard für Beteiligungsrechte in die beiden Hauptstandards „International Reporting Standard“ und „Swiss Reporting Standard“. Weitere Standards gelten für spezifische Segmente
Der für den jeweiligen Standard anwendbare Rechnungslegungsstandard ergibt sich aus Art. 6 RLR SIX, wobei in der Regel zwischen verschiedenen Standards gewählt werden kann. Gegenüber der früheren Unterscheidung in „Main“ und „Domestic Standard“, stärkt der neue Swiss Reporting Standard insbesondere die Positionierung von Swiss GAAP FER als einer der relevanten anerkannten Rechnungslegungsstandards an der SIX.
Für Zwischenabschlüsse ist grundsätzlich derselbe Rechnungslegungsstandard anwendbar wie für die jährliche Berichterstattung. Dadurch kann langfristig Konsistenz und Vergleichbarkeit der Information gegenüber den Investoren und anderen Anspruchsgruppen sichergestellt werden.
c) Inhaltliche Vorschriften zur Berichterstattung
Der Inhalt der periodischen Berichterstattung ergibt sich zunächst aus Gesetz sowie den Regularien der entsprechenden Börse. Daneben sind aber insbesondere die gemäss dem gewählten Rechnungslegungsstandard anwendbaren Bestimmungen zentral.
Auf Gesetzesebene sind zunächst die (allgemeinen) Vorschriften im Obligationenrecht zur kaufmännische Buchführung und Rechnungslegung zu beachten. Für kotierte Gesellschaften sieht das Rechnungslegungsrecht weitere Publikationsvorschriften vor. Ferner haben kotierte Gesellschaften gemäss Aktienrecht spezifische Informationen über Vergütungen und bedeutende Aktionäre im Anhang zur Bilanz offenzulegen. Letztere Information hat mit der Einführung der börsenrechtlichen Meldepflicht stark an praktischer Bedeutung eingebüsst. Weitere Bestimmungen zur Berichterstattung finden sich in der Spezialgesetzgebung
d) EU-Recht
Die SIX hat in verschiedenen Richtlinien insbesondere die Vorschriften zur Berichterstattung konkretisiert. Zu nennen ist vorab die Richtlinie „Rechnungslegung RLR“, welche speziell für Investmentgesellschaften und andere Spezialgesellschaften ergänzende Bestimmungen beinhaltet. Daneben enthält die Richtlinie „Corporate Governance RLCG“ einen umfangreichen Anhang mit diversen Informationen, welche im Geschäftsbericht zu veröffentlichen sind. Dabei gilt der Grundsatz „comply or explain“, wonach der Emittent zwar auf die Offenlegung einzelner Informationen verzichten kann, dies aber substantiell begründen muss. Ferner konkretisiert das jährlich überarbeitete Rundschreiben Nr. 2 der SIX die Pflichten für Emittenten, welche IFRS oder Swiss GAAP FER als Rechnungslegungsstandard gewählt haben.
Die periodische Berichterstattung ist in verschiedenen Verordnungen und Richtlinien der EU adressiert. So legt die Transparenzrichtlinie Anforderungen für die Veröffentlichung regelmässiger und laufender Informationen über Emittenten fest, deren Wertpapiere bereits zum Handel an einem in einem Mitgliedstaat gelegenen oder dort betriebenen geregelten Markt zugelassen sind. Geregelt sind darin vor allem die Finanzberichterstattung oder die Information über bedeutende Beteiligungen.
2. Weitere Informationspflichten
Neben der periodischen Berichterstattung sehen insbesondere die Regularien der Börse verschiedene weitere Publizitätspflichten vor. Von grosser praktischer Relevanz ist dabei vor allem die Ad hoc-Publizität, welche im Folgenden schwergewichtig behandelt wird. Daneben werden weitere Publizitätspflichten anhand des Kotierungsreglements der SIX dargelegt.
a) Unternehmenskalender
An der SIX kotierte Unternehmen sind verpflichtet, zu Beginn des Geschäftsjahres einen Unternehmenskalender zu veröffentlichen. Dieser enthält Angaben über die wesentlichen Termine im laufenden Geschäftsjahr wie Generalversammlung, Veröffentlichung der Abschlüsse etc. Nicht erfasst sind hingegen interne Termine wie Verwaltungsratssitzungen Die Richtlinie „Regelmeldepflichten RLRMP“ regelt die Details zur Veröffentlichung.
b) Ad hoc-Publizität
Zu den Pflichten der Emittenten während der Dauer der Kotierung gemäss Art. 35 FinfraG gehört neben der bereits erwähnten periodischen Berichterstattung und den Rechnungslegungsvorschriften auch die Ad hoc-Publizität.
ba) Begriff
„Ad hoc-Publizität“ ist die Pflicht des Emittenten von kotierten Finanzinstrumenten, Insiderinformationen „unverzüglich“ publik zu machen.
bb) Ziel der Regulierung
Die Ad hoc-Publizität soll sicherstellen, dass die Emittenten die Öffentlichkeit in wahrer, klarer und vollständiger Weise über massgebliche Ereignisse aus ihrem Tätigkeitsgebiet informieren. Damit werden zwei Hauptziele angestrebt. Zunächst sollen die in Art. 1 FinfraG verankerten börsenrechtlichen Grundsätze der Transparenz, der Markteffizienz und der Gleichbehandlung der Anleger konkretisiert werden: Die Publizitätspflicht gewährleistet die Versorgung des Kapitalmarktes mit zeitnaher Information sowie die informationelle Gleichbehandlung der Marktteilnehmer.
Weiter dient die Bekanntgabepflicht kursrelevanter Tatsachen der Prävention von Insiderdelikten. Bekannte Tatsachen können von potentiellen Insidern nicht mehr (unrechtmässig) zum eigenen Nutzen verwendet werden.
bc) Regelung SIX
Die SIX regelt in ihrem Kotierungsreglement in Art. 53 die Grundzüge der Ad hoc-Publizität. Weiter enthält die Richtlinie „Ad hoc-Publizität RLAhP“ die detaillierten Bestimmungen zu den Modalitäten der Bekanntgabe sowie den Inhalt der Mitteilung. Aufgrund der grossen praktischen Relevanz der Thematik publizierte die SIX den Kommentar zur RLAhP, welcher u.a. Erläuterungen zur Praxis der SIX im Bereich der Ad hoc-Publizität enthält.
Gesellschaften, deren Aktien an der SIX kotiert sind, haben den Markt über kursrelevante Tatsachen, welche in ihrem Tätigkeitsbereich eingetreten sind, zu informieren. Als potentiell kursrelevant gelten Tatsachen, die geeignet sind, zu einer erheblichen Änderung der Kurse zu führen. Erheblich ist eine Kursschwankung dann, wenn eine das übliche Mass der Schwankungen deutlich übersteigende Kursänderung zu erwarten ist. Es sind somit nur qualifizierte Ereignisse, welche geeignet sind, den durchschnittlichen Marktteilnehmer in seinem Anlageentscheid zu beeinflussen, bekanntgabepflichtig.
Es gibt keine abschliessende Liste von potentiell kursrelevanten Tatbeständen. Es existieren auch keine festen Grenzwerte oder Prozentzahlen, bei deren Erreichen beispielsweise ein Abbau von Arbeitsplätzen als potentiell kursrelevant zu betrachten wäre. Blosse Gerüchte, Gewinnschätzungen Dritter, Ideen, Planungsvarianten und Absichten fallen allerdings nicht unter die Ad hoc-Publizität. Die Grenze zwischen einer reinen Absicht und einem Plan bzw. Entschluss, wie beispielsweise der Entscheid der Geschäftsleitung, eine bestimmte Strategie zu verfolgen, ist fliessend. Prognosen, die lediglich auf Erwartungen oder Hoffnungen beruhen, sind nicht als Tatsache zu werten und entsprechend nicht bekanntgabepflichtig; Schätzungen, die im Wesentlichen auf Tatsachen beruhen hingegen schon. Der Kommentar der SIX zur RLAhP enthält Beispiele der praktisch relevantesten Ereignisse mit potentiell kursrelevantem Charakter Entscheidend ist schliesslich die Abwägung aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls
Von grösster praktischer Relevanz ist der Zeitpunkt der Bekanntgabe einer potentiell kursrelevanten Tatsache. Der Emittent informiert, sobald er von der Tatsache in ihren wesentlichen Punkten Kenntnis hat. Mitteilungen mit potentiell kursrelevantem Inhalt sind grundsätzlich 90 Minuten vor Handelsbeginn oder nach Handelsschluss zu publizieren. Kenntnis der Tatsache liegt vor, wenn das erforderliche Wissen in den wesentlichen Punkten im Bereich der Geschäftsleitung, des nicht exekutiven Verwaltungsrates oder bei faktischen Organen vorhanden ist.
Der Emittent hat sich so zu organisieren, dass eine potentiell kursrelevante Tatsache zeitgerecht bekannt gemacht wird. Wissen wichtige Personen wegen mangelhafter interner Organisation nicht, was sie eigentlich wissen müssten, so kann aufgrund von Organisationsverschulden eine Verletzung der Ad hoc-Publizitätsvorschriften vorliegen. Wird beispielsweise ein neues Verwaltungsratsmitglied gewählt, so ist dies bekanntgabepflichtig, sobald der Verwaltungsrat die Nomination beschlossen und die betreffende Person eingewilligt hat und nicht erst nach der formellen Wahl durch die Generalversammlung. Von praktischer Relevanz ist auch die Publikation von Jahres- oder Zwischenergebnissen, welche früher als erwartet vorliegen. Diese sind unabhängig von einem vorher festgelegten Veröffentlichungstermin umgehend zu publizieren.
Weiter sorgt der Emittent für die Gleichbehandlung der Marktteilnehmer. Eine selektive Information von Marktteilnehmern, z.B. lediglich an Mitarbeiter, Analysten oder ausgewählte Medien, ist unzulässig. Die Marktteilnehmer sollen die potentiell kursrelevanten Informationen unter gleichen Bedingungen und zeitgleich zur Kenntnis nehmen können. Entsprechend wäre es beispielsweise nicht zulässig, einem Printmedium die Mitteilung früher als den übrigen Marktteilnehmern zuzustellen; ein solches Vorgehen würde die Gleichbehandlung der Marktteilnehmer verletzen. Mit der Mitteilung darf grundsätzlich nicht zugewartet werden, bis der Emittent die Tatsache in allen Einzelheiten kennt. Bei komplexen Ereignissen wie beispielsweise einer Unternehmensübernahme ist es sinnvoll oder gar notwendig, mehrstufig zu informieren Dabei werden zunächst der Grundtatbestand und später die konkreten Schritte publiziert
bd) Bekanntgabeaufschub
Ausnahmsweise ist ein kotiertes Unternehmen ermächtigt, die Bekanntgabe einer kursrelevanten Tatsache aufzuschieben. Hierfür ist vorausgesetzt, dass a) die betreffende Tatsache auf einem Plan oder Entschluss des Emittenten beruht, b) deren Verbreitung geeignet ist, die berechtigten Interessen des Emittenten zu beeinträchtigen und c) der Emittent die umfassende Vertraulichkeit der Tatsache gewährleistet. Der Emittent muss eine Interessenabwägung zwischen seinen Interessen am Aufschub gegenüber dem Informationsinteresse der Marktteilnehmer vornehmen. Unzulässig ist der Aufschub beim Eintritt eines planwidrigen Ereignisses, das seinen Ursprung nicht in einem eigenen Plan des Emittenten hat. Beispiele, bei welchen der Bekanntgabeaufschub regelmässig zulässig sein kann, sind Umstrukturierungen oder die Sanierung eines Unternehmens. In der Regel sofort meldepflichtig sind hingegen ein Gewinneinbruch, der Rücktritt eines Verwaltungsrats oder die Bekanntgabe von Finanzzahlen.
Der Emittent muss gewährleisten, dass die Vertraulichkeit der aufgeschobenen Meldung während der gesamten Dauer des Bekanntgabeaufschubs gewährleistet ist. Tritt trotzdem ein Informationsleck auf, ist der Markt umgehend mittels Ad hoc-Meldung zu informieren. Der Emittent hat Vorkehrungen zu treffen, um im Falle eines Lecks sofort zu informieren. Es empfiehlt sich daher, bei einem Bekanntgabeaufschub eine aktuelle Mitteilung bereitzuhalten, um auf ein mögliches Informationsleck sofort mittels Publikation der Mitteilung ad hoc reagieren zu können.
be) EU-Recht
Im EU-Recht ist insbesondere die Marktmissbrauchsverordnung von Bedeutung. Diese enthält in Kapitel 3 die einschlägigen Bestimmungen betreffend Ad hoc-Publizität und Bekanntgabeaufschub. Demzufolge geben Emittenten der Öffentlichkeit Insiderinformationen, die unmittelbar diesen Emittenten betreffen, sobald wie möglich bekannt. Die Emittenten stellen sicher, dass die Insiderinformationen in einer Art und Weise veröffentlicht werden, die es der Öffentlichkeit ermöglicht, schnell auf sie zuzugreifen und sie vollständig, korrekt und rechtzeitig zu bewerten.
c) Bekanntmachung von Änderungen der mit den Effekten verbundenen Rechte
Im Rahmen der Kotierung (IPO) hat eine Gesellschaft diverse Informationen gegenüber der Börse sowie den Marktteilnehmern offenzulegen. Nach der Kotierung können sich diese Informationen naturgemäss ändern. Sofern diese Änderung potentiell kursrelevant sein kann, ist gemäss vorgehendem Abschnitt mittels Ad hoc-Meldung zu informieren. Daneben gibt es aber diverse Informationen, z.B. technische und administrative Änderungen oder auch betreffend die rechtlichen Ausgestaltung der Effekte oder des Emittenten, bei welchen die zeitliche Dringlichkeit etwas in den Hintergrund rückt. Der Emittent kann in diesem Fall die Bekanntmachung gemäss Art. 55 KR SIX planen. Demnach macht der Emittent jede Änderung der mit den kotierten Effekten verbundenen Rechte zeitnah bekannt, sodass für die Anleger die Wahrnehmung ihrer Rechte gewährleistet ist. Die Richtlinie „Regelmeldepflichten RLRMP“ der SIX sowie der dazugehörige Leitfaden konkretisieren den Inhalt, die Form sowie die Modalitäten der Erfüllung der Regelmeldepflichten im Rahmen der Aufrechterhaltung der Kotierung.
Die in der RLRMP aufgeführten Regelmeldepflichten werden in den Anhängen 1 bis 6 der RLRMP genauer umschrieben. Die jeweiligen Regelmeldepflichten variieren je nach Ausgestaltung der kotierten Effekte (Beteiligungsrechte, Forderungsrechte, kollektive Kapitalanlagen etc.). Bei Beteiligungspapieren stehen Informationen betreffend den Emittenten (Firma, Sitz, Revisionsstelle), die Berichterstattung, Informationen zur Generalversammlung sowie Dividende und Kapitalstruktur im Vordergrund.
Die Übermittlung der Informationen an die SIX erfolgt je nach Art der kotierten Effekte via die elektronische Meldeplattform CONNEXOR Reporting oder via Online-Formular, E-Mail oder Connexor Events. Bestimmte, im Anhang gekennzeichnete Informationen haben mittels Publikation einer „Offiziellen Mitteilung“ zu erfolgen.
d) Offenlegung von Management-Transaktionen
Die Offenlegung von Management-Transaktionen dient der Informationsversorgung der Anleger und trägt zur Verhütung und Verfolgung von Marktmissbräuchen bei. Das Management verfügt gegenüber den anderen Marktteilnehmern naturgemäss über einen Informationsvorsprung, weshalb Management-Transaktionen eine Art Signalwirkung für den Markt zukommen. Durch Meldung und Publikation solcher Transaktionen soll der Anschein des heimlichen Ausnutzens von Wissensvorsprüngen eingeschränkt werden.
Die SIX regelt in Art. 56 KR SIX die Grundzüge der Offenlegung und konkretisiert diese in der Richtlinie „Management-Transaktionen RLMT“.
Meldepflichtig sind Mitglieder des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung, wobei der Emittent die meldepflichtigen Personen zur Meldung anzuhalten und bei Pflichtverletzungen gegen diese vorzugehen hat. Adressat der Meldung ist der Emittent, welcher die Information innert drei Börsentagen an die SIX zur (teilweisen) Veröffentlichung übermittelt. Die SIX betreibt eine Datenbank, auf welcher die veröffentlichten Meldungen während drei Jahren öffentlich zugänglich sind.
Meldepflichtig sind Transaktionen, die das Vermögen der meldepflichtigen Person direkt oder indirekt betreffen. Erfasst sind ferner auch nahestehende Personen, welche unter massgeblichem Einfluss der meldepflichtigen Person stehen (so z.B. Familienangehörige oder beherrschte juristische Personen). Gegenstand der Meldepflicht sind Beteiligungsrechte, Wandel-, Erwerbs- oder Veräusserungsrechte sowie weitere Finanzinstrumente. Dabei sind die wesentlichen Eckdaten der Transaktion wie Name, Art der Transaktion, Anzahl Aktien, Gesamtwert der Transaktion zu melden.
Nicht alle Börsen kennen explizite Vorschriften zur Offenlegung von Management-Transaktionen. So findet sich beispielsweise im Kotierungsreglement der Berner Börse oder in deren Schreiben betreffend Informationspflichten keine entsprechende Bestimmung.
Im internationalen Recht ist wiederum auf die Marktmissbrauchsverordnung der Europäischen Union zu verweisen. Analog der Regelung der SIX sieht Art. 19 (Eigengeschäfte von Führungskräften) eine Meldepflicht von Eigengeschäft mit Anteilen oder Schuldtiteln an den Emittenten sowie die zuständige Behörde vor.
3. Erweiterte Informationspflichten der SIX
Die Regularien der SIX, allen voran die Art. 64 ff. KR SIX, enthalten diverse zusätzliche Publizitätsvorschriften für Spezialgesellschaften. Entsprechend sind für Investmentgesellschaften zusätzliche Angaben im Anhang des Jahresabschlusses sowie die regelmässige Veröffentlichung des Net Asset Values (NAV vorgesehen. Immobiliengesellschaften haben ebenfalls zusätzliche Angaben bei der Berichterstattung zu veröffentlichen und die Grundsätze der Anlagepolitik aktuell zu halten und zu publizieren Weiter gelten Sonderbestimmungen für Hinterlegungsschein sowie kollektive Kapitalanlagen
III. Weitere Meldepflichten
1. Börsenrechtliche Meldepflicht betreffend Offenlegung von Beteiligungen
Das FinfraG regelt neu die bis zum 31. Dezember 2015 im BEH geregelte Offenlegung der Beteiligungsverhältnisse Demnach muss der direkte oder indirekte Erwerber oder Veräusserer u.a. von in der Schweiz kotierten Aktien eine Meldung an die Gesellschaft und die Börse machen, sofern er durch die Transaktion bestimmte Grenzwerte über- oder unterschreitet Meldepflichtiges Subjekt ist grundsätzlich die handelnde natürliche oder juristische Person und nicht die Gesellschaft, deren Aktien erworben werden. Eine vertraglich oder auf andere Weise organisierte Gruppe muss die Meldepflicht als Gruppe erfüllen
Ziel dieser Regelung sind insbesondere eine Markttransparenz, Abbau von Informationsasymmetrien sowie die Aufdeckung von Übernahmeabsichten Im internationalen Bereich ist auf die Transparenzrichtlinie der Europäischen Union hinzuweisen, welche ebenfalls Schwellenwerte für bestimmte Meldepflichten vorsieht
Die börsenrechtliche Meldepflicht wird in diesem Werk ausführlich von Tschäni/Gaberthuel abgehandelt, weshalb die Thematik an dieser Stelle nicht weiter vertieft wird.
2. Meldepflichten nach Geldwäschereigesetz
Die Meldepflichten nach Geldwäschereigesetz treffen gleichermassen kotierte wie auch nicht kotierte Gesellschaften und werden in diesem Werk umfassend von Zollinger behandelt.
IV. Corporate Governance
In den vergangenen Jahren sind insbesondere auch im internationalen Bereich diverse neue Regularien betreffend Corporate Governance und damit zusammenhängend neue Bestimmungen zu Publizitätspflichten von kotierten sowie nicht kotierten Unternehmen veröffentlicht worden
In der Schweiz ist insbesondere der „ Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance“ des Wirtschaftsdachverbandes Economiesuisse von Bedeutung. Dieser enthält u.a. verschiedene Bestimmungen zum Verwaltungsrat, der Revision sowie zur Vergütung. Betreffend Offenlegung enthält der Code keine weiteren spezifischen Bestimmungen und verweist auf die Regularien der SIX
Die von der SIX erlassene Richtlinie „Corporate Governance RLCG“, welche weiter oben bereits Erwähnung fand, enthält einen umfangreichen Anhang mit diversen Informationen, welche im Geschäftsbericht zu veröffentlichen sind Dabei stützt sich die SIX auf Art. 35 Abs. lit. b FinfraG, wonach die Börse für die Offenlegung von Informationen, auf welche die Anleger für die Beurteilung der Eigenschaften der Effekten und die Qualität des Emittenten angewiesen sind, sorgt. Dabei gilt der Grundsatz „comply or explain“, wonach der Emittent zwar auf die Offenlegung einzelner Informationen verzichten kann, dies aber substantiell begründen muss
V. Übernahmerecht
Die in Art. 125 ff. FinfraG enthaltenen Bestimmungen dienen dem funktionsfähigen Kapitalmarkt, indem sie Übernahmen von Gesellschaften innerhalb eines angemessenen Regelungsrahmens abwickeln Insbesondere müssen die Prinzipien der Transparenz, Lauterkeit und Gleichbehandlung der Marktteilnehmer eingehalten werden Im Rahmen einer Übernahme nach FinfraG sind diverse Publizitätsvorschriften zu beachten. An dieser Stelle sei hierzu auf den Beitrag von Schenker in diesem Werk verwiesen, welcher die Thematik umfassend behandelt.
VI. Vergütungen
Auf die aktienrechtlichen Vorschriften betreffend Offenlegung von Vergütungen, insbesondere auf Art. 663bbis OR wurde oben bei der periodischen Berichterstattun bereits kurz eingegangen. Daneben enthält insbesondere die Vergütungsverordnung, welche gestützt auf die vom Volk und von den Ständen im Jahr 2013 angenommene „Abzocker-Initiative“ erlassen wurde, einschneidende Vorschriften für kotierte Unternehmen. Zur Vergütungsverordnung und den übrigen Vorschriften hierzu im Finanzbereich vgl. in diesem Werk Oberholzer/Perren.
Literaturverzeichnis gemäss PDF